10.12.2014

„Neugier ist die Voraussetzung für ein evolutionäres Leben“

Sind Sie neugierig? Gut so. Professor Peter Falkai erklärt im Interview, warum wir mit unserer Wissbegierde über uns selbst hinauswachsen können.

Neugierde ist ein Urinstinkt. Welche Rolle spielt sie in unserem Leben?

Neugierde ist die Fähigkeit des Menschen, Neues zu entdecken. Das wiederum ist die Voraussetzung für ein evolutionäres Leben. Neugier ist uns angeboren, damit wir unsere Umwelt verstehen lernen und sich unser Gehirn entwickeln kann. Gerade in den ersten Lebensjahren bilden sich viele neuronale Netzwerke aus, und wenn wir die nicht ständig benutzen, bauen sie sich wieder ab. Dadurch würden viele Potentiale ungenutzt bleiben. Damit das nicht passiert, treibt uns die Neugier weiter an.

Kann man also sagen, dass neugierige Menschen intelligenter sind?

Ja, weil unser Denken differenzierter wird. Dadurch steigern wir unseren Intelligenzquotienten sogar um ein bis zwei Prozent. Je nachdem, womit wir uns beschäftigen und entsprechend unser Gehirn benutzen, entwickeln sich die Vernetzungen aus. Das bedeutet wir können beeinflussen, in welche Richtung sich unser Gehirn entwickelt. Das nennt sich neuronale Plastizität. Zu viel Input ist aber auch nicht gut, dann ist unser „System“ überfordert.

Was meinen Sie damit?

Nicht umsonst steckt in dem Wort Neugier die Gier. Wenn wir zu viel auf einmal wissen wollen, kann das zu innerer Unruhe führen. Das ist anstrengend, auch für unsere Umwelt. Denken Sie an kleine Kinder: Die sind so neugierig, dass sie selten konzentriert bei einer Sache bleiben können. Sie lassen sich durch ihre Neugier leicht ablenken und springen ständig hin und her.

Aber wenn Kinder Neues entdecken und lernen damit umzugehen, macht sie das auch selbstbewusster.

Das stimmt. Neugier gibt uns die Chance, uns selbst besser kennenzulernen, mehr über unsere Stärken und Schwächen zu erfahren. Nur wenn wir Neues ausprobieren, sammeln wir Erfahrungen – ob sie nun gut oder schlecht sind. Deshalb sollten wir als Erwachsene gerade in Situationen, in denen wir uns unwohl fühlen oder die wir meiden wollen, neugierig sein. Da gibt es meist viel zu lernen.

Warum fällt es uns mit zunehmendem Alter immer schwerer, uns auf Neues einzulassen?

Weil es anstrengender wird, damit fertig zu werden. Denken ist kraftraubend, denn dabei wird Glukose verbraucht. Nach der Entwicklungsphase beginnt sich unser Gehirn bereits im frühen Erwachsenenalter wieder langsam abzubauen. Es hat folglich schlicht mit den Kapazitäten im Kopf zu tun, wenn wir immer weniger bereit sind, offen und neugierig zu sein.

Können wir da durch bewusstes Training gegensteuern?

Natürlich. Neugier ist verbunden mit Stress und Arbeit. Aber oft hilft es schon, sich nach dem Aufwachen zwei Fragen zu stellen: Was erwartet mich heute Schönes? Was kann ich heute Gutes tun? In der Alltagsroutine nehmen viele von uns die schönen und interessanten Dinge gar nicht wahr. Dadurch geht viel Lebendigkeit verloren.

Kann die menschliche Wissbegierde auch schädlich sein?

Sie ist zu 95 Prozent eine gute Sache. Die verbleibenden fünf Prozent stecken meist in sozial komplizierten Situationen, in denen platte Neugier daraus wird. Etwa, wenn wir die Kollegin fragen, ob sie einen neuen Freund hat. Es ist deshalb gut, wenn zur Neugier ein gewisses Gefühl für den sozialen Kontext dazukommt.
 
 

Video-Interview: „Neugier ist wie ein Motor für das Gehirn“

Warum ist Neugier so wichtig für uns? Und was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir neugierig sind? Professor Falkai erklärt im Video-Interview, wieso wir von Natur aus wissbegierig sind – und was man tun kann, damit dieser Urtrieb auch als Erwachsener anhält.

Öfter mal was Neues

Neugier ist der Schlüssel, um die Welt zu entdecken und sich selbst. Leider kommt sie uns oft im Laufe des Lebens abhanden. Wer sein Interesse an Unbekanntem durch bewusstes Training bewahrt, wird nicht nur klüger, sondern auch glücklicher und erfolgreicher.

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