Zwei Jahrzehnte schon hat Marie* ihren Vater nicht mehr gesehen, geschweige denn gesprochen. „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie er aussieht oder wo genau er überhaupt wohnt“, sagt sie. Nur dass der 61-Jährige in einem Pflegeheim irgendwo in Sachsen untergebracht ist – das weiß Marie genau. Schließlich ist das der Grund dafür, dass die 32-Jährige regelmäßig ihre Einkünfte offenlegen muss. „Der Staat will, dass ich für die Unterbringung im Pflegeheim zahle“, sagt sie.
Immer wieder muss Marie mehrseitige Fragebögen des zuständigen Sozialamts ausfüllen – wegen eines Mannes, „der mehr Erzeuger ist als Vater“, wie die 32-Jährige selbst sagt. Auf Pflege ist Maries Vater schon seit Jahren angewiesen. „Er war bereits vor meiner Geburt tablettenabhängig. Die Sucht führte zu Wahnzuständen – er war einfach nicht mehr zurechnungsfähig und wurde irgendwann eingewiesen.“ Das betreute Wohnen hat der 61-Jährige nie mehr verlassen. All das weiß Marie vor allem aus Erzählungen ihrer Mutter. Sie selbst habe nie wirklich erfahren, wie es ist, einen Vater zu haben. „Ich war noch ein Baby, als meine Mutter die Scheidung einreichte.“ Das letzte Mal gesehen habe sie ihren Vater als 10-Jährige.
Zahlen für einen Vater, der selbst nicht gezahlt hat
O-Ton
Seitdem ist viel passiert: Die junge Frau hat studiert, ist inzwischen berufstätig. Ermöglicht habe das ihre alleinerziehende Mutter. „Mein Vater hat keinen Unterhalt bezahlt. Sicherlich auch, weil er es nicht konnte. Aber letztlich bedeutet das, dass meine Mutter alles alleine gestemmt hat“, berichtet Marie. Ihr Studium habe sie sich durch Nebenjobs finanziert, aber eben auch, indem sie Schulden machte.
Dass Marie nun nicht nur diese abbezahlen, sondern irgendwann möglicherweise auch noch für das Pflegeheim des Vaters aufkommen soll, findet die junge Frau ungerecht. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum ich für jemanden zahlen soll, den ich nicht mal richtig kenne und der auch nicht dazu beigetragen hat, dass ich meinen Weg in ein selbstständiges Leben gefunden habe. Ich habe mir meinen Vater ja nicht ausgesucht.“
Grafik: UKV
Reicht das Geld der Eltern nicht, müssen Kinder einspringen
Grundsätzlich gilt: Reicht das Geld der Eltern für die Pflege nicht aus, so sind Kinder dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten dafür aufzukommen. „Elternunterhalt“ nennt sich das – und den treiben Sozialämter immer häufiger ein. Lag die Summe im Jahr 2010 noch bei rund 54 Millionen Euro, so waren es 2015 schon knapp 68 Millionen Euro.
Dass sich viele Kinder ihrer Verpflichtung entziehen wollen, dafür hat Jurist Frey nur bedingt Verständnis. „Viele tun ganz überrascht, wenn sie plötzlich für die Eltern zur Kasse gebeten werden. Dabei ist das Teil des Generationenvertrags. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass man etwas Geld zur Seite legt, wenn man Eltern hat, die pflegebedürftig sind und sich die Betreuung selbst nicht leisten können. Das gerät heutzutage immer mehr in Vergessenheit.“
Rechtslage und Gerechtigkeit sind nicht dasselbe
Eine „vernünftige Kindheit“ – das wollte auch Rosemarie Hinrichs* ihren Kindern ermöglichen, und hängte dafür sogar ihren Job als Lehrerin an den Nagel. „Das war damals eben so – da gab es noch keine so gute Kita-Betreuung und ich wollte für meine Kinder da sein“, sagt die heute 74-Jährige.
„Wir wollen nicht zur finanziellen Last werden“
Obwohl Sohn und Tochter längst erwachsen sind, sorgen Rosemarie Hinrichs und ihr 79 Jahre alter Mann auch weiterhin vor. „Sollten wir irgendwann pflegebedürftig werden oder ins Heim müssen, wollen wir für die beiden nicht zur finanziellen Last werden“, ist sich das Ehepaar einig.
Dass Rente und gesetzliche Pflegeversicherung alleine oft nicht mehr reichen, um die tatsächlichen Kosten für die Pflege zu decken, wissen die beiden. „Wir haben es bei meiner Schwiegermutter erlebt – 3.000 Euro im Monat hat der Heimplatz damals gekostet und ihr Geld hat gerade so gereicht, um die Pflegelücke zu schließen. Wir sind zu zweit. Sollten wir beide auf Hilfe angewiesen sein, wird es also um einiges teurer“, ahnt die 74-Jährige.
Pflegetagegeldversicherung – Geld zur freien Verfügung
Um eine Kostenexplosion zu vermeiden, hat sich das Ehepaar vor rund acht Jahren für eine Pflegetagegeldversicherung entschieden. Jeweils 65 Euro monatlich zahlen sie dafür – ein Betrag, der ihnen nicht weh tut, wie Rosemarie Hinrichs sagt. Im Pflegefall können sie über das Geld aus der Versicherung dann frei verfügen, berichtet die Rentnerin.
Mit der zusätzlichen Vorsorge fühle sie sich nicht nur selbst besser abgesichert, sondern auch die Kinder, erklärt sie. Denn dass die sich irgendwann – ähnlich wie Marie – für ihr Einkommen rechtfertigen und möglicherweise die Pflege der Eltern bezahlen sollen, will das Paar auf jeden Fall vermeiden.
*Namen von der Redaktion geändert