• Homöopathie – zwischen Heilsbringer und Hokuspokus

    Homöopathie

    Zwischen Heilsbringer und Hokuspokus

Der schwierige Spagat zwischen Job und Familie – Melanie Meisel kennt ihn nur zu gut. Doch die Mutter eines vierjährigen Sohnes jammert nicht. „Alles eine Frage der Organisation“, sagt sie. Melanie gehört zum Typ Powerfrau. Als sie sich irgendwann eine Erkältung einfängt, denkt sich die 36-Jährige zunächst nichts dabei. „Das kommt vor und ist in der Regel ja auch nach ein paar Tagen ausgestanden.“ Doch aus Tagen werden Wochen und aus Wochen schließlich anderthalb Monate. 
Gliederschmerzen, schlimmer Husten und dieses ständige Gefühl, krank zu sein zehren an den Kräften der jungen Mutter. Melanie versucht es mit den üblichen Erkältungsmitteln – doch Grippostad und Co. helfen nicht. „Es fing immer wieder von vorne an“, erinnert sich die 36-Jährige. Erst als Melanie homöopathische Globuli nimmt, verschwindet die Erkältung plötzlich. „Ich habe die damals zufällig bei uns im Arzneischrank entdeckt und gedacht: ,Schadet ja nicht.`“ Obwohl Melanie Homöopathie zuvor allenfalls für Spinnerei hält, greift sie inzwischen regelmäßig zu den kleinen Kügelchen. „Immer, wenn ich merke, dass etwas im Anflug, nehme ich die jetzt – und dann wird’s besser. Seit zwei Jahren war ich nicht mehr krank.“
Infografik Homöopathie
Grafik: UKV

9 von 10 Anwendern machten positive Erfahrungen

Mit dieser Einstellung ist die 36-Jährige längst nicht alleine: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage haben 51 Prozent der Befragten 2016 homöopathische Mittel genommen. Eine Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2014 zeigt zudem, dass neun von zehn Anwendern positive Erfahrungen machen. Auch Cornelia Bajic ist davon überzeugt, dass Globuli wirken. Die Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) ist zwar ausgebildete Allgemeinmedizinerin, sieht in der Homöopathie aber eine ideale Ergänzung zur Schulmedizin. „Nehmen wir das Beispiel Mittelohrentzündung: Die Abheilung kann beschleunigt und die Symptome gelindert werden, wenn homöopathische Mittel eingesetzt werden. Der Körper erhält dadurch einen Impuls zur Selbstheilung “, sagt sie. Auch in Fällen, in denen Antibiotika aufgrund von Resistenzen nicht mehr wirken, seien homöopathische Mittel „eine wunderbare Alternative“. Entscheidend, so erklärt es Cornelia Bajic, sei dabei immer die ganzheitliche und individuelle Betreuung des Patienten und seiner Symptome. „Es wird eine lange Erstanamnese vorgenommen, um alle Symptome samt der Geschichte aufzunehmen. Erst dann wird das passende Mittel verschrieben“, betont Bajic.

Glaube an die Wirkung wichtiger als der eigentliche Wirkstoff?

Die Medikamente, die wir in der Homöopathie verwenden, sind Scheinmedikamente.
Dass sich mit dieser Methode Erfolge erzielen lassen, weiß auch Natalie Grams. Die 39-Jährige war selbst jahrelang Homöopathin, hat viel positives Feedback von Patienten erhalten – und der Homöopathie doch den Rücken gekehrt. „Die Medikamente, die wir in der Homöopathie verwenden, sind Scheinmedikamente – weil der Wirkstoff verdünnt wird und nicht mehr vorhanden ist.“ Positive Effekte seien am Ende vor allem einem geschuldet: dem Glauben daran. Dem Placebo-Effekt. Und der Tatsache, „dass während der Behandlung schlichtweg Zeit vergeht, in der der Körper sich selbst heilt“, so Grams. Auch der ganzheitliche Ansatz wirke sich positiv aus. „Die Zeit und Zuwendung, die ein Homöopath seinem Patienten schenkt, kann ähnliche Effekte wie eine Psychotherapie haben.“ Erkenntnisse, die auch für die 39-Jährige keine einfachen waren. „Eigentlich wollte ich ein Buch schreiben, das die Wirksamkeit der Homöopathie belegt – und musste während meiner Recherchen das Gegenteil erkennen.“ Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit homöopathischer Mittel gäbe es nicht – „viele vermeintliche Beweise, auf die sich Homöopathen berufen, beziehen sich vor allem auf’s Hören-Sagen“, sagt Grams.

O-Ton: Statt Medikamenten Wertschätzung und Zeit für den Patienten

O-Ton: Natalie Grams

Grenzen der Homöopathie

An der Stigmatisierung der Homöopathie sei ihr jedoch nicht gelegen. „Ich habe nichts dagegen, wenn das jemand für sich nutzt“, betont Grams. Eine sinnvolle Ergänzung könne das Ganze sein, solange man es als „Wellness mit Placebo-Effekt“ oder auch „Instrument der Hoffnung“ versteht – und eben nicht als Medizin verkauft. „Leider klären Homöopathen ihre Patienten meist nicht entsprechend auf.“ Dabei sei es für den Patienten wichtig, die Grenzen zu kennen. „Wer homöopathische Mittel bei chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Asthma oder Krebs – oder auch in akuten Notfällen wie bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall – einsetzt, verzögert im schlimmsten Fall eine wirklich sinnvolle Therapie. Dann wird Homöopathie gefährlich.“
Auch Melanie Meisel sind diese Grenzen wichtig. Obwohl sie bei kleineren Erkältungen und Alltagserkrankungen mittlerweile nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Sohn mit Globuli behandelt, so steht für sie doch fest: Im Ernstfall führt kein Weg an der Schulmedizin vorbei. „Es gibt ja auch Leute, die wollen Krebs damit behandeln. Da hört’s bei mir definitiv auf.“
Veröffentlicht am 20.12.2017

IM INTERVIEW: Das passiert beim Placebo-Effekt

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